Ihre Gedanken ändern sich mit der Sprache
Aspach „Fremd sein . . .“ ist der Titel einer achtteiligen
Reihe von Lesungen in Professor Pröpstls Puppentheater in
Aspach. Gregor Oehmann hat sie zusammen mit dem Kunst-
verein Aspach und unterstützt von verschiedenen Sponsoren
auf die Beine gestellt. Besonders stolz war er, als Star der
Reihe die international anerkannte Schriftstellerin Yoko Tawada
präsentieren zu können.
Yoko Tawada wird mit Preisen überhäuft. Sowohl in ihrem Ge-
burtsland Japan als auch in Deutschland die promovierte
Germanistin lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Hamburg.
Ihre aktuelle Lesereise führte sie zwischen New York, Frank-
reich, Japan, den baltischen Ländern und Hongkong nun nach
Aspach.
Die Palette ihres Schaffens ist groß: Gedichte, Essays, Erzähl-
ungen und Theaterstücke. Erste Erfolge feierte sie Ende der
80er Jahre in Deutschland, damals noch mit Übersetzungen aus
dem Japanischen. Längst ist sie auch in ihrem Heimatland
etabliert und gilt als eine der derzeit renommiertesten Künst-
lerinnen des Landes. Heute schreibt sie zweisprachig, meist
parallel. „Die Gedanken“ sagt sie, „sind in beiden Sprachen
nicht die gleichen“. So einfach ist das. Viele Werke sind so ent-
standen. Sie tragen Titel wie „Hundebräutigam“, „Fersenlos“
oder „Das nackte Auge“. Der letzte ist nun übersetzt in beiden
Ländern erschienen, denn dieses Mal hatte sie in beiden Spra-
chen die gleiche Idee. Gut so. Man mag sich gar nicht vorstel-
len, was einem sonst entgeht. Eine Ahnung davon erhält man,
wenn sie Gedichte auf japanisch liest. Oder nur teilweise über-
setzt. Ihre Geschichten handeln von der Sprache, von Menschen
und ihren Kulturen sowie von den Gefühlen im Umgang mit der
Sprache. Meist erzählt sie mit einer großen Portion Humor. So
kämpft sie in „Der Apfel und die Nase“ mit ihrem Computer,
den sie dazu bringen will, ihre japanischen Gedanken wieder-
zugeben. Manchmal kommentiert sie gar nicht. Ihr chinesisches
Wörterbuch stellt chinesische Übersetzungen den deutschen
Wörtern gegenüber. Dazu gibt es nichts zu sagen. Ihre Ge-
schichten über Kultur und Leben in fremden Ländern dagegen
erzählen realistisch, aufmerksam und sehr detailliert. Sachlich,
niemals kritisch. Und mit einer großen Beobachtungsgabe.
Tawada untersucht das Fremde und experimentiert damit. Un-
belastet und neutral. Dabei äußerst persönlich und mit einer
sprachlichen Virtuosität, die man sonst höchstens von einem
Muttersprachler erwartet. Sie beherrscht die Sprache, spielt mit
ihr und zeigt dies in köstlichen Vergleichen. So spricht sie von
ihrer „körperlichen Abscheu gegen den Verneinungs-Genitiv“.
Sie personifiziert Worte. Personen wie die Ich-Erzählerin aus
„Das nackte Auge“, eine junge vietnamesische Schülerin auf
Besuch im Ostteil von Berlin, sind dabei fiktiv.
Ryo Fukuhara an der Marimba
Tawadas Betrachtungsweise von Menschen und ihren Kulturen
geht weit über die Toleranz hinaus, sie ist völlig unvoreinge-
nommen. Fast wie bei einem Kind.
Begleitet wurde Tawada in Aspach von dem jungen und nicht
minder erfolgreichen japanischen Perkussionisten Ryo Fukuhara,
der eine 2,50 Meter lange Marimba spielte. Auch er hat in Japan
und in Deutschland studiert und ist in nationalen und inter-
nationalen Orchestern gefragt. Er präsentierte Werke aus Euro-
pa, speziell bearbeitet für dieses Instrument.
Ermöglicht wurde die Lesereihe mit Adelbert-von-Chamisso-
Preisträgern neben vielen privaten Spenden durch Förderungen
der Robert-Bosch-Stiftung, die seit dem Jahr 1985 den
Chamisso-Preis vergibt, der LBBW-Stiftung und Freunden des
Theaters Professor Pröpstl.
(Backnanger Kreiszeitung, 16.02.2005)